Grundzüge des deutschen Erbrechts

Obwohl in den kommenden Jahren über zwei Billionen Mark zum Vererben anstehen, haben über 70 % der Bundsbürger keine Verfügung über ihren letzten Willen getroffen. Bei den bereits errichteten Testamenten ist die Fehlerquote sehr hoch. Nur ca. 25 % der Bundesbürger dürften ein formal und inhaltlich richtiges Testament haben.

Für den juristischen Berater wird die Testamentsgestaltung immer anspruchsvoller: Die Familienstrukturen werden – ausgelöst durch Scheidungen – komplizierter, die Generationen gehen zunehmend eigene Wege. Häufige Auslandsberührungen und ein wachsender Zugriff des Staates erfordern eine immer anspruchsvollere Gestaltung. Zahlreiche Unternehmenskonkurse sind auf eine mangelhafte erbrechtliche Gestaltung zurückzuführen, und so gewinnt die testamentarische Gestaltung im Bereich der Unternehmensnachfolge zunehmend an Bedeutung.

 

I. GRUNDLAGEN

1.
Das deutsche Erbrecht ist zivilrechtlich im Fünften Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches ( §§ 1922 – 2385 BGB) geregelt und umfaßt immerhin nahezu ein Fünftel des gesamten BGB.

2.
Im Todesfalle geht der Nachlaß des Erblassers unmittelbar auf den/die Erben über § 1922 Abs. 1 BGB). Der Rechtsübergang vollzieht sich kraft Gesetzes, ohne daß es einer Mitwirkung des Erben, eines Gerichtes oder einer Behörde bedarf; selbst eine Annahme ist nicht erforderlich. Der Erbe darf die Erbschaft in Besitz nehmen.

Erbfähig ist jede Person, jeder Mensch und jede juristische Person, gleichgültig, ob In- oder Ausländer. Die Rechtsfähigkeit muß zum Zeitpunkt des Erbfalles gegeben sein. Lediglich in zwei Fällen wird die Erbfähigkeit vorverlegt:

- der bereits erzeugte, aber noch nicht geborene Mensch (nasciturus) gilt als vor dem Erbfall geboren und somit rechtsfähig (§ 1923 Abs. 2 BGB);

- eine Stiftung, die erst nach dem Tode des Erblassers genehmigt und damit rechtsfähig wird, gilt als schon vor dessen Tod entstanden (§ 84 BGB).

3.
Mit dem Erbfall gehen die nicht erlöschenden Rechte und Pflichten des Erblassers als Ganzes auf den Erben über (Universalsukzession). Grundsätzlich kennt das deutsche Recht keine direkte Sondererbfolge in bestimmte Vermögensgegenstände (Ausnahmen: siehe unten, Erbrecht und Gesellschaftsrecht; Kap. B).

Die Erbschaft ist das Vermögen des Erblassers. Häufig wird die Erbschaft als Nachlaß bezeichnet; die Unterscheidung ist rein akademischer Natur.

Das Vermögen ist der Inbegriff (Gesamtheit) aller geldwerten Güter. Hierzu gehört nicht nur das Aktiv-, sondern auch das Passivvermögen, die Nachlaßverbindlichkeiten. Für sie haftet der Erbe (§ 1967 Abs. 1 BGB). Miterben haften als Gesamtschuldner, d.h. unabhängig von ihrem Erbanteil auf die gesamten Verbindlichkeiten (§ 2058 BGB).

 

II. ERBFOLGE

1. gesetzliche Erbfolge

Die gesetzliche Erbfolge tritt ein, wenn der Erblasser keine Erbenbestimmung getroffen hat. Gesetzliche Erben sind die Verwandten des Erblassers und sein Ehegatte. Verwandte sind grundsätzlich die Blutsverwandten in gerader Linie und in Seitenlinie:

a. Verwandtschaft in gerader Linie liegt vor, wenn die eine Person von der anderen abstammt, z.B. Vater – Sohn – Enkel;

Verwandte in Seitenlinie sind Personen, die von derselben dritten Person abstammen, aber nicht in gerader Linie verwandt sind (§ 1589 BGB). Beispiele: Die Geschwister sowie Neffen und Nichten des Erblassers stammen von den Eltern des Erblassers ab; Onkel, Tanten und Vettern gehen auf die gleichen Großeltern zurück.

b. Verwandter im Sinne des Erbrechts ist auch das minderjährige Adoptivkind; dessen Verwandtschaft mit seinen Blutsverwandten wird gelöst.

 

c. Rangordnung
Nicht alle Verwandten erben, sondern das Gesetz bestimmt eine bestimmte Rangfolge (§§ 1924 – 1929 BGB). Erben der ersten Ordnung sind die Abkömmlinge ( = Kinder, Enkel usw.) des Erblassers, Erben der zweiten Ordnung sind die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (in Bezug auf den Erblasser = Geschwister, Neffen, Nichten usw.), Erben der dritten Ordnung die Großeltern und deren Erblasser (in Bezug auf den Erblasser = Onkel/ Tante, Cousin/Cousine usw.).

Die jeweils dem Erblasser nähere Ordnung schließt die entferntere aus ( § 1930 BGB). Sind z.B. Erben der ersten Ordnung vorhanden, so kommen die Erben der zweiten Ordnung nicht zum Zuge („Parentelsystem“).

An die Stelle eines vorher weggefallenen gesetzlichen Erben treten seine Abkömmlinge, nicht aber auch ein Ehegatte des vorverstorbenen Abkömmlings (§ 1924 III BGB).

 

aa. Erbfolge nach Stämmen

Jeder Abkömmling bildet mit seinen Abkömmlingen einen erbrechtlichen Stamm; auf jeden Stamm entfällt die gleiche Erbquote, unabhängig von der Anzahl seiner Mitglieder.

Beispiel: Erblasser E hat 2 Kinder A und B. Ist Kind A vorverstorben und hatte A 2 Kinder C und D, geht ½-Erbanteil an B und der andere ½-Erbanteil an C und D (jetzt zu je ¼ für C und D).

 

bb. Erbfolge nach Linien

Ab der zweiten Erbordnung kommt das Linienprinzip zum Zuge: Je die Hälfte des Nachlasses geht an die väterliche und an die mütterliche Linie (§ 1925 II, III BGB).
Beispiel: Erblasser E, ledig, hat keine Kinder. Der Vater A ist vorverstorben, die Mutter M und seine beiden Geschwister B und C leben noch. Hätte der Vater A noch gelebt, so wären er und die Mutter je zur Hälfte Erben geworden. Da der Vater vorverstorben ist, geht seine Hälfte an seine Kinder B und C, die Geschwister des Erblassers.

 

2. Erbrecht des Ehegatten

Im deutschen Erbrecht spielt der eheliche Güterstand eine ausschlaggebende Rolle.

a. Rein erbrechtlich erhält der überlebende Ehegatteneben Abkömmlingen ¼, neben Verwandten des Erblassers 2. Ordnung (seinen Eltern, Geschwistern, Neffen/Nichten) ½ der Erbschaft. Erst wenn weder Verwandte der 1. und der 2. Ordnung noch Großeltern vorhanden sind, erhält der überlebende Ehegatte die Erbschaft allein (§ 1931 II BGB).

b. Haben die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand – der sogenannten „Zugewinngemeinschaft“ – gelebt, so erhält der überlebende Ehegatte ein weiteres ¼ der Erbschaft (§ 1371 I BGB). Diese im Familienrecht wurzelnde Regelung soll die mit der Berechnung des Zugewinns aus der Ehezeit verbundenen Schwierigkeiten, die bei einer Ehescheidung häufig auftauchen, vermeiden. Der Zugewinn wird pauschal abgegolten, gleichgültig, ob und in welcher Höhe der überlebende Ehegatte einen Anspruch auf Zugewinnausgleich hätte.

c. Der „erbrechtliche“ Anteil des Ehegatten erhöht sich neben Verwandten der 2. Ordnung auf ½. Der zusätzliche Anspruch auf ¼ aus der Zugewinngemeinschaft verbleibt ihm; er erhält also ¾ (§§ 1931, 1371 I BGB). Bei dieser Erbquote bleibt es, wenn Großeltern des Erblassers vorhanden sind.

 

3. Gewillkürtes Erbrecht

Das deutsche Erbrecht stellt ein außerordentlich vielfältiges Instrumentarium zur Gestaltung der lebzeitigen und für den Todesfall bestimmten Vermögensnachfolge zur Verfügung. Hierbei sind zu nennen:

Vor-/Nacherbschaft, Ersatzerbschaft (auch in Verbindung mit Vor-/Nacherbschaft), Vermächtnis/Vorausvermächtnis, Teilungsanordnung, Auflage, Bedingung/Befristung, Erbvertrag.

Es würde den Rahmen dieser Einführung sprengen, die einzelnen Rechtsinstitute genauer zu erläutern. Aufgrund eines vielfachen Mißverständnisses bei Betroffenen scheint es angebracht, auf folgende Einzelheit hinzuweisen:

Beachte:

Ordnet der Erblasser im Wege der Teilungsanordnung einzelne Gegenstände des Nachlasses einzelnen Erben zu, ist dringend darauf zu achten, daß in der letztwilligen Verfügung

- die Erbquote der einzelnen Erben genannt ist, da anderenfalls mangels regulärer Erbeinsetzung gesetzliche Erbfolge eintritt,

- bestimmt ist, ob eine Anrechnung der Einzelzuweisung auf den Erbanteil erfolgen soll.

Wird keine Bestimmung getroffen, erfolgt grundsätzlich die Anrechnung auf den Erbanteil mit der Folge, daß eine Ausgleichungspflicht der Miterben untereinander entsteht. Dies ist häufig vom Erblasser nicht beabsichtigt.

 

4. Annahme/Ausschlagung

Der Erbe tritt, wie bereits erwähnt, ohne eigenes Zutun in die Erbenstellung ein. Soll das Erbe ausgeschlagen werden, ist eine förmliche Erklärung vor dem Nachlaßgericht oder vor einem Notar erforderlich. Die hierfür entstehenden Gebühren sind identisch.

Die Ausschlagungsfrist beträgt in der Regel sechs Wochen ab Kenntnis des Erbfalls und dem Grunde der Berufung, d.h. den Umständen, aufgrund derer er als Erbe in Frage kommt (§ 1944 BGB). Die Ausschlagung der Erbschaft ist unwiderruflich; es bleibt allenfalls die Anfechtung der Ausschlagung (§ 1954 BGB).

Die Frist beträgt sechs Monate, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nur im Auslande gehabt hat oder wenn sich der Erbe bei dem Beginn der Frist im Ausland aufhält (§ 1944 Abs. 3 BGB).

Beachte:

Erben versäumen nicht selten die 6-Wochen-Frist. In diesen Fällen hilft häufig die Anfechtung der Versäumnis der Ausschlagungsfrist mit der Begründung, man habe irrtümlich keine Kenntnis davon gehabt, daß die Ausschlagung form- und fristgebunden ist (§ 1956 BGB).

Motiv für die Erbausschlagung ist in der Regel die Befürchtung, daß der Nachlaß (vermutlich) überschuldet ist. Häufig ist kaum möglich, sich innerhalb der 6-Wochen-Frist Kenntnis von den tatsächlichen Vermögensverhältnissen des Erblassers zu verschaffen.

In diesen Fällen ist folgendes Vorgehen möglich: Der Erbe erklärt die Annahme der Erbschaft unter dem Vorbehalt der Beschränkung der Haftung auf den Nachlaß. Dies ist zu unterscheiden von der Bedingungsfeindlichkeit der Annahme, die diesem Vorgehen nur scheinbar entgegensteht (§ 1947 BGB). So ist der Erbe davor geschützt, eventuell sein eigenes Vermögen für die Nachlaßverbindlichkeiten einsetzen zu müssen.