Pflichtteil / Einzelfragen
1. Pflichtteilsrecht / Entziehung des Pflichtteils / Erbunwürdigkeit
Das deutsche Erbrecht schützt äußerst rigoros die Rechtsstellung der pflichtteilsberechtigten nächsten Angehörigen des Erblassers. Die Entziehung ist nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 2333 – 2335 BGB möglich. Die Entziehung des Pflichtteils ist nicht zu verwechseln mit der Entziehung des Erbteils aufgrund Erbunwürdigkeit; Die Erbunwürdigkeit ist geregelt in den §§ 2339 BGB und hat andere Voraussetzungen.
In nicht wenigen Fällen spielt die Frage der Schuldunfähigkeit des Abkömmlings bei den Verfehlungen nach § 2333 BGB eine Rolle. Hat der Abkömmling eine Verfehlung nach § 2333 BGB im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen, kann ihm der Pflichtteil nicht entzogen werden.
In diese bisher unangefochtene Rechtsprechung kommt jedoch Bewegung:
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10.10.2000, - 1 BvR 1644/00 (ZERB 2001, 35)
1. Das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde zum Pflichtteilsrecht einem Antrag auf Erlass eine einstweiligen Anordnung gegen die Zwangsvollstreckung eines Pflichtteilsanspruches stattgegeben.
2. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Fragen des Pflichtteilsrechts, insbesondere die Frage des Tatbestandsmerkmals der Schuldfähigkeit im Rahmen der Pflichtteilsentziehung nach § 2333 BGB und der Pflichtteilsunwürdigkeit nach den §§ 2339, 2345 BGB.
Der Beschwerdeführer ist einer der beiden Söhne der Erblasserin und war testamentarisch zum Alleinerben eingesetzt worden. Sein Bruder litt seit langem an einer schizophrenen Psychose und hatte seine Mutter wiederholt tätlich angegriffen. Schließlich erschlug er sie, zerstückelte die Leiche und versteckte die Leichenteile im Wald. Aufgrund dieser – nach den Feststellungen der Strafkammer des Landgerichts im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen – Tat ordnete das Gericht in einem Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.
Im Ausgangsverfahren nahm der Täter, vertreten durch seinen Betreuer, seinen Bruder auf Zahlung des Pflichtteils in Anspruch. Hierüber wird nun das BVerfG entscheiden. Es ist zu erwarten, dass das Gericht grundsätzliche Ausführungen zu dem Verhältnis von Art. 6 GG (Schutz der Familie) zu Art. 14 GG (Schutz des Eigentums) macht.
Pflichtteilsrecht
2. Berechnungsgrundlage für Pflichtteil nach dem Nacherben
Urteil des BGH vom 26.09.2001, - IV ZR 198/00 –
Nimmt die als Vorerbin eingesetzte Ehefrau des Erblassers ihr Pflichtteilsrecht nicht in Anspruch (§ 2306 Abs. 1 S. 2 BGB), liegt darin keine Schenkung zugunsten des Nacherben, die Pflichtteilsergänzungsansprüche nach der Ehefrau begründen könnte.
Die Ehefrau hatte von dem Ehemann als nicht befreite Vorerbin ein Hausgrundstück geerbt. Als Nach- und Schlusserbe war der gemeinsame Sohn eingesetzt. Nach dem Tode des Ehemannes erhielten die weiteren Abkömmlinge der Ehegatten den Pflichtteil nach dem Vater unter Berücksichtigung des Hausgrundstücks. Dieses wurde dem Nach- und Schlusserben sodann im Wege vorweggenommener Erbfolge übertragen. Nach dem Tode der Ehefrau machten die weiteren Abkömmlinge den Pflichtteil nach der Mutter – wiederum unter Einbeziehung des Hausgrundstücks – geltend.
Das OLG Frankfurt/Main als Berufungsinstanz hatte den Klägern mit dem Argument Recht gegeben, der vorliegende Fall könne im Ergebnis nicht anders beurteilt werden als der Fall, dass der Ehemann den Sohn als Alleinerben eingesetzt hätte. Dann wäre der Mutter beim Tode des Vaters ¼ des Wertes des Hausgrundstücks als Pflichtteil zugeflossen, wovon die Kläger beim Tod der Mutter wiederum im Wege des Pflichtteilsrechts profitiert hätten. Dass die Mutter ihren Pflichtteilsanspruch nach dem Vater nicht durchgesetzt habe, bedeute eine unentgeltliche Zuwendung der Mutter an den Sohn in Gestalt eines Erlasses von Verbindlichkeiten.
Der BGH erteilte der von dem OLG Frankfurt/Main angestellten Fiktion eine Absage. Zwar hätte die Ehefrau/Mutter den Pflichtteil geltend machen können, wenn sie die Erbschaft ausgeschlagen hätte (§ 2306 Abs. 1 S. 2 BGB). Angesichts der formalen und starren Struktur des Pflichtteilsrechts sei auch in der Konstellation, die dem Beklagten nützt, hinzunehmen, dass der Pflichtteil gerade nicht in Anspruch genommen wurde. Entscheidend war daher die Feststellung, dass das Grundstück wegen der angeordneten Nacherbfolge nicht in den Nachlass der Mutter gelangen konnte, nach der die übrigen Abkömmlinge den Pflichtteil geltend gemacht hatten.
3. Berechnung von Pflichtteilsansprüchen
(Passiva/abzugsfähige Positionen)
Es ist allgemein bekannt, dass der Pflichtteilsanspruch sich nach dem Nachlasswert bestimmt. Dieser errechnet sich aus dem Wert des Nachlasses abzüglich Nachlassverbindlichkeiten (Aktiva ./. Passiva).
Hierbei stellt sich die Frage, welche Verbindlichkeiten abzugsfähig sind.
Als Nachlassverbindlichkeiten können im Rahmen der Pflichtteilsberechnung in Abzug gebracht werden:
- Bestattungskosten
- Mietkosten bis zur frühest möglichen Beendigung des Mietvertrages
- Gerichtskosten für die Eröffnung einer Verfügung von Todes wegen
- Kosten des Erbscheinsantrages (umstritten; eine gerichtliche Entscheidung hierüber ist nicht bekannt)
- Kosten für Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Wertes von Nachlassgegenständen
- Darlehen/Grundschulden/Hypotheken, bezogen auf den jeweiligen Valutastand
- Steuer- und Abgabenschulden
- offene Rechnungen des Erblassers
Nicht abzugsfähig sind:
- Pflichtteilsansprüche selbst
- Vermächtnisse und Auflagen
- Grabpflegekosten
4. Pflichtteilsergänzungsanspruch
Zuwendung eines Gesellschaftsanteils an einen von mehreren Erben
Wendet ein Erblasser zu Lebzeiten einem seiner Erben Gesellschaftsanteile zu, ohne Ausgleichungspflichten festzulegen, stellt sich die Frage, ob der andere Erbe einen Ausgleichungsanspruch hat. Dieselbe Frage stellt sich, wenn
- ein Pflichtteilsberechtigter Ergänzungsansprüche geltend macht
- ein Erbe den Nachlass ausschlägt und Pflichtteilsansprüche geltend macht, z.B. ein Ehegatte.
Sachverhalt
Ein Vater mit zwei Söhnen bringt sein umfangreiches Immobilienvermögen in eine KG (Kommanditgesellschaft) ein und beteiligt hieran einen seiner Söhne als Kommanditisten. Der Gesellschaftsvertrag sieht die Fortsetzung der KG ohne Abfindung unter den verbleibenden Gesellschaftern vor.
Es gilt zunächst, die gesellschaftsrechtliche Rechtslage und die erbrechtliche Rechtslage auseinanderzuhalten.
a. Gesellschaftsrechtlicher Abfindungsausschluss
Eine gesellschaftsvertragliche Regelung, durch die ein Abfindungsanspruch für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters durch Tod ausgeschlossen wird, ist zulässig.
b. Erbrechtliche Konsequenzen des Abfindungsausschlusses
aa. Anspruch auf Pflichtteilsergänzung, allgemein
Für den Fall, dass der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht hat, kann der Pflichtteilsberechtigte gem. § 2325 Abs. 1 BGB als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird. Bei der zur Pflichtteilsergänzung berechtigenden Vermögensübertragung muß es sich also um eine Schenkung handeln, wobei der Schenkungsbegriff des § 2325 BGB mit dem des § 516 Abs. 1 BGB übereinstimmt (vgl. Münch. Komm. Frank, BGB, 3. Aufl. 1997, § 2325 Rn. 11 m. w. N.). Es muss demnach eine objektive Bereicherung des Empfängers aus dem Vermögen des Erblassers und eine Einigung über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung vorliegen.
bb. Abfindungsausschluss als Schenkung
Ob es sich bei einem Abfindungsausschluss für den Fall des Todes eines Gesellschafters um eine Schenkung in diesem Sinne handelt, ist streitig. Die wohl überwiegende Auffassung in Literatur und Rechtsprechung geht davon aus, dass ein solcher gesellschaftsvertraglich vereinbarter Abfindungsausschluss jedenfalls dann keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch auslöst, wenn er für den Tod aller Gesellschafter (allseits) vereinbart wird.
Für den Regelfall gestützt wird die vorstehend dargestellte Auffassung durch die Rechtsprechung des BGH (BGHZ 22. 186, 194 f.; WM 1971, 1338), der allerdings bei grobem Missverhältnis des Risikos der Gesellschafter durch große Altersunterschiede oder schwere Erkrankung im Einzelfall die vorgebliche Allseitigkeit des Ausschlusses als tatsächliche Einseitigkeit — und damit als unentgeltlich —behandeln will (BGH NJW 1981, 1956, 1957).
Im Regelfall wird man daher Pflichtteilsergänzungsansprüche verneinen können, wenn nicht der Abfindungsausschluss trotz Geltung für alle Gesellschafter im Einzelfall zu einem groben Missverhältnis führt. Dies kann der Fall sein, wenn das Risiko der Gesellschafter durch große Altersunterschiede oder schwere Erkrankung eines einzelnen Gesellschafters sich faktisch als tatsächliche Einseitigkeit auswirkt.
Beispiele:
- Eine unentgeltliche Zuwendung liegt vor, wenn ein 15-jähriger Enkelsohn Gesellschafter wird
- Der Erblasser (Gesellschafter) ist an Krebs erkrankt und stirbt wenige Tage nach Abschluss des Gesellschaftsvertrages.
Im Regelfall bestehen daher bei der Übertragung von Gesellschaftsvermögen auf einen Erben und Vereinbarung eines Abfindungsausschlusses keine Pflichtteilsergänzungsansprüche eines anderen Erben.
Bejaht man im Einzelfall Pflichtteilsergänzungsansprüche, stellt sich die Folgefrage, wann die Zehn-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB in Gang gesetzt wird. Nach der heute wohl herrschenden Ansicht beginnt die Frist des § 2325 Abs. 3 BGB ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung erst mit dem Tode des Gesellschafters, weil sich das durch die Klausel verursachte Vermögensopfer erst dann realisiere.
c. Pflichtteilsergänzung aufgrund der Beteiligung eines Kindes als Kommanditist
Zu überlegen bleibt weiterhin, ob bereits die Aufnahme des Kindes in die Gesellschaft Pflichtteilsergänzungsansprüche im Sinne des § 2325 BGB auslösen kann. Voraussetzung ist auch insoweit, dass bereits in der Aufnahme des Sohnes als Gesellschafter eine Schenkung im Sinne dieser Vorschrift liegt.
Die Aufnahme eines persönlich haftenden Gesellschalters in das Geschäft eines Einzelkaufmanns oder in eine bestehende Gesellschaft soll nach überwiegender Auffassung regelmäßig keine Schenkung darstellen, auch wenn die Aufnahme zu besonders günstigen Bedingungen, insbesondere ohne eigenen Kapitaleinsatz erfolgt. Die Übernahme der Pflichten eines Gesellschafters hinsichtlich der geschuldeten Arbeitsleistung und der persönlichen Haftung rechtfertigen nur in Mißbrauchsfällen die Annahme eines unentgeltlichen Vorgangs.
Demgegenüber wird die Zuwendung eines Kommanditanteils regelmäßig anders beurteilt. Der Kommanditist haftet, wenn die Einlage erbracht ist, nicht persönlich. Die kapitalmäßige Beteiligung steht bei ihm ganz im Vordergrund. Auf die Zuwendung eines Kommanditanteils ist deshalb, wenn der Kommanditist nichts für seinen Erwerb aufzuwenden, insbesondere keine Gegenleistung zu erbringen hat und die Parteien über die Unentgeltlichkeit einig sind, Schenkungsrecht anzuwenden
Dabei ist unerheblich, ob ein bereits bestehender Kommanditanteil übertragen oder aber den Begünstigten in der Weise zugewandt wird, dass dieser Gesellschafter einer neu gegründeten Gesellschaft wird und der Zuwendende das Gesellschaftskapital alleine aufbringt.
Hat das Kind vorliegend also für den Erwerb des Kommanditanteils keine (oder nur eine unter ihrem Wert liegende) Gegenleistung zu erbringen, liegt eine ergänzungspflichtige (gemischte) Schenkung i. S. d. § 2325 BGB vor. Bei dieser Prüfung ist auch die Abfindungsregelung für den Todesfall zu würdigen.
Da insoweit die (unterstellte) Schenkung bereits mit der Aufnahme des Beitretenden in die Gesellschaft vollzogen ist, beginnt die Frist des § 2325 Abs. 3 BGB in diesem Falle bereits mit dem Eintritt des Gesellschafters in die Gesellschaft zu laufen (Wegmann, ZEV 1998, 135, Staudinger/Olshausen, § 2325 Rn. 56).